Themen rund um das verantwortungsvolle Investieren („Responsible Investment“) sind in der Regel langfristiger Natur.
Wir haben jedoch einige Anlagethemen und -chancen von Schlüsselbedeutung identifiziert, die den Wandel im vor uns
liegenden Jahr vorantreiben dürften.
Energiewende
Wir befinden uns in einem entscheidenden Jahrzehnt,
in dem es darum geht, den Übergang auf saubere Energien
zu beschleunigen und die Emissionen strukturell zu senken.
Im bevorstehenden Jahr erwarten wir folgende Entwicklungen:
- Die zusätzlichen Kapazitäten an erneuerbaren Energien dürften 2022 das fossile Pendant gemessen in Gigawatt weiterhin übertreffen. Die zentralen Erwartungen lauten auf rund 300 GW an zusätzlichen erneuerbaren Kapazitäten im Jahr 2022 gegenüber knapp 290 GW im Jahr 2021.1
- Solarenergie wird weiterhin dominieren: Unterstützung von Seiten der Politik und zunehmend ausgereifte Technologien ermöglichen einen günstigen Zugang zu Kapital an den maßgeblichen Märkten. Solarenergie ist in den meisten Ländern beständig günstiger als die Errichtung neuer Kraftwerke auf Basis fossiler Brennstoffe.
- Leitungen werden angesichts steigender Kapazitäten für die Energiewende von entscheidender Bedeutung sein. Der prognostizierte Bedarf an neuen Leitungen zur Übertragung und Verteilung von Solarstrom liegt mit Blick auf die kommenden zehn Jahre weltweit um 80 % über den im vergangenen Jahrzehnt geschaffenen Kapazitäten.2 Allerdings werden hohe Energiekosten die Fähigkeiten von Regierungen, derartige Projekte zu finanzieren, auf die Probe stellen.
- Batteriespeichern kommt eine Schlüsselrolle zu. Seit 2010 sind die Batteriepreise real um beinahe 90 % gesunken. Lieferkettenprobleme könnten allerdings dazu führen, dass 2022 die Preise erstmals wieder steigen.
- Die Stilllegung von Kraftwerken auf Basis fossiler Brennstoffe ist nicht die einzige Antwort auf das Emissionsproblem. Regierungen können emissionsarme Energiequellen gegenüber fossilen Brennstoffen bevorzugen, ohne Kraftwerke zu schließen. So können mehr Kapazitäten an erneuerbaren Energien die fossilen Energieträger ersetzen, wann immer erneuerbare Energien viel Strom liefern, was die Auslastung der mit fossilen Brennstoffen befeuerten Kraftwerke verringert und folglich zu niedrigeren Schadstoffemissionen führt.
- Ein anhaltender Rohstoffboom wird das Engagement der Ölriesen für mehr Umweltschutz auf die Probe stellen, wenngleich höhere Preise für fossile Brennstoffe künftig die erneuerbaren Alternativen noch kostengünstiger und damit wettbewerbsfähiger machen. Die Nachfrage nach fossilen Brennstoffen muss auf glaubwürdige Weise reduziert werden, wenn wir sprunghafte Energiepreisanstiege infolge von Ungleichgewichten zwischen Angebot und Nachfrage vermeiden möchten. Der Weg zu Netto- Null wird also nicht einfach sein.
Grüne Mobilität
Der Ausblick für grüne Mobilität wird durch das stark zunehmende
Interesse an Wasserstoff, emissionsarmen/-freien Fahrzeugen und einer
Ladeinfrastruktur bestimmt. Wir erwarten folgende Entwicklungen:
- Das Ökosystem für Wasserstoff wird deutlich expandieren. Insbesondere auf politischer und technologischer Ebene wird die Dynamik unter anderem aufgrund der vorgesehenen weltweiten Lieferung von Elektrolyseuren, die sich im Jahr 2022 auf mehr als 2 GW belaufen wird, anhalten. Ferner werden mehr Länder Wasserstoffstrategien entwickeln, und es werden laufend neue Methoden zur Erzeugung von grünem Wasserstoff, wie z. B. Waste-to- Hydrogen und Methanpyrolyse, aufkommen.
- Nachhaltiger Flugtreibstoff (Sustainable Aviation Fuel –SAF): Im Jahr 2021 verpflichteten sich neun Fluggesellschaften, wissenschaftlich fundierte Ziele festzulegen, um ihre zugesagten Netto-Null-Ziele zu erreichen. Im Jahr 2022 dürften sich mindestens zehn weitere Fluggesellschaften diese Ziele setzen. Dadurch steigt die Nachfrage nach SAF. Unterdessen werden die Kosten vorerst die Nachfrage in Schach halten. Sie dürften jedoch angesichts einer zunehmenden Annahme am Markt und einer künftig wohl höheren Besteuerung von Kerosin weiter sinken.
- Der rapide Ausbau der Ladeinfrastruktur wird dagegen voraussichtlich die Einführung von Elektrofahrzeugen unterstützen, getrieben von der steigenden Nachfrage von Seiten der Verbraucher und kommerziellen Nutzer.
Corporate Governance
In den vergangenen zwei Jahrzehnten kam es zu einer grundlegenden
Änderung in der Arbeitsweise von Unternehmensvorständen. Inzwischen
reicht es aber nicht mehr aus, als Vorstandsmitglied schwierige Fragen zu
stellen. Künftig bedarf es auch konkreter Expertise. Wir gehen von folgenden
Entwicklungen aus:
- Neue Anforderungen der Anleger und Interessengruppen verlangen – neben der Diversität der Geschlechter und der ethnischen Vielfalt in Betrieben – nun auch Erfahrung in Bezug auf Klima, Technologie und Humankapital.
- Traditionelle Modelle mit „Generalisten“ im Vorstand befinden sich auf dem Rückzug. An ihre Stelle werden die „Experten“ mit Fachkenntnissen in Sachen strategischer oder technischer Nachhaltigkeit treten.
- Dieses Modell der „Vorstandsexperten“ erfordert unkonventionelle Kandidaten.
- Ferner wird ESG-Aktivismus (Environmental, Social und Governance) den Wandel vorantreiben, und das Engagement von Anlegern und Interessengruppen wird deutlich zunehmen.
Verantwortungsvolle Anlagepolitik: Rechte, Vorschriften und Kontroversen
Da die Pandemie bestehende Ungleichheiten noch verschärft hat, überrascht
es kaum, dass die Aufmerksamkeit zusehends gesellschaftlichen Fragen
gilt. Wir gehen davon aus, dass Kapitalanlagen in Zukunft stärker durch
Maßnahmen in den folgenden Bereichen beeinflusst werden:
- Die Frage der Menschenrechte wird die Anlageergebnisse immer stärker beeinflussen. Ein weltweit rechtsverbindlicher Vertrag zur Regelung von Wirtschaft und Menschenrechten bleibt vorerst noch Wunschdenken. Nationale und supranationale Vorschriften gewinnen jedoch zunehmend an Stellenwert. Nationale Gesetzesinitiativen wie das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz in Deutschland werden die Anforderungen an Investoren und Investitionsempfänger erhöhen und eine angemessene menschenrechtliche Sorgfaltspflicht sowie relevante Abhilfemaßnahmen erfordern.
- So können die im Dezember 2021 von der US-amerikanischen Securities and Exchange Commission (SEC) eingeführten Vorschriften dazu führen, dass Emittenten mit Sitz in China binnen drei Jahren ihre Börsennotierung in den USA verlieren. Werden in Zukunft Verstöße gegen Vorschriften identifiziert, kann das die Unternehmen also teuer zu stehen kommen.
- In den Bereichen Klima, Energiesicherheit, Ungleichheit und gemeinsamer Wohlstand dürfte weiterhin Polarisierung an der Tagesordnung sein. Der Energiesektor könnte bald der spannendste sein, da Unternehmen wie Woodside auf Technologien wie Wasserstoff und Kohlenstoffabscheidung setzen. Zwischen dem Netto-Null-Imperativ und der Krise rund um die Ukraine wird sich die Zukunft der Kernenergie wahrscheinlich rosiger gestalten als gedacht. Da sich unterdessen die Kosten des Coronavirus immer deutlicher abzeichnen, ist davon auszugehen, dass gesellschaftspolitische Entscheidungen an den Märkten von China bis Chile den Ton angeben werden.
Verlust natürlichen Lebensraums
Im Jahr 2022 wird der Naturverlust verstärkt die Anleger beschäftigen,
und zwar als systemisches Umweltrisiko sowie als Thema, das mit anderen
Klima- und Nachhaltigkeitsthemen unweigerlich einhergeht.
- Politik: Die Biodiversitätskonferenz COP15 der Vereinten Nationen hat sich zum Ziel gesetzt, „die biologische Vielfalt bis 2030 auf einen Erholungspfad zu lenken“ und bis 2050 ein Regenerationsstadium zu erreichen. Konkrete Vorschläge geben diesem Ziel Hand und Fuß, darunter die Erhaltung von 30 % der Land- und Meeresflächen, eine geringere Verschmutzung durch Pestizide und Düngemittel, die Beseitigung von Plastikverschmutzung und die Umsetzung einer nachhaltigen Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft.
- Vereinbarte Kennzahlen: In diesem Jahr veröffentlicht die Taskforce for Nature-related Financial Disclosures (TNFD) Rahmenbedingungen für Unternehmen und Investoren, auch die EU-Taxonomie verlagert den Schwerpunkt auf die biologische Vielfalt, und die EU gibt einen Berichtsrahmen heraus. All diese Initiativen ebnen den Weg zu einem breiteren Verständnis der Risiken für die Natur.
- Unternehmen reagieren: Während zahlreiche Unternehmen sich erst noch eingehender mit ihrer Antwort auf diese Krise befassen müssen, haben einige bereits damit begonnen, die Auswirkungen und Risiken tiefgreifender zu analysieren oder „naturfreundliche“ Initiativen zu entwickeln.
- In Anerkennung der sogenannten Rückkoppelungsschleifen nimmt das Bewusstsein dafür zu, dass weder dem Klimawandel noch dem Verlust natürlicher Lebensräume mit Silodenken beizukommen ist, denn beide Aspekte sind eng miteinander verbunden.
Klimawandel und Kohlenstoff
Wir gehen davon aus, dass die von den Regierungen im Jahr 2021
angekündigten Klimagesetzgebungen Gestalt annehmen und bestimmte
Branchen ins Visier nehmen werden, die für die Dekarbonisierungsziele
von entscheidender Bedeutung sind. Abgesehen davon dürften steuerliche
Anreize für saubere Technologien geschaffen werden. Die verpflichtende
Offenlegung von Klimadaten wird ebenfalls eine wichtige Rolle spielen,
da die EU die Verordnung über nachhaltigkeitsbezogene Offenlegungspflichten
im Finanzdienstleistungssektor umsetzt und die SEC entsprechende
Maßnahmen ergreift.
Die Umsetzung der Reformen des Emissionshandelssystems (ETS) in
der EU wird die Lage am Kohlenstoffmarkt zusätzlich verschärfen und die
Preise in Richtung 100 EUR treiben, wodurch Investitionen in Technologien
wie Kohlenstoffabscheidung und -speicherung sowie Wasserstoff
rentabler werden. Dadurch könnten der Fortschritt bei technologischen
Entwicklungen und die Investitionen in Schlüsseltechnologien für die
Dekarbonisierung beschleunigt werden. Im Zuge von COP26 wird die stärkere
Fokussierung auf das Thema „Netto-Null“ dazu führen, dass diesbezügliche
Unternehmensstrategien, insbesondere zur Dekarbonisierung der Lieferketten,
stärker auf dem Prüfstand stehen werden. Unternehmen mit unklaren/
unzureichenden Netto-Null-Vorhaben werden Reputationsrisiken ausgesetzt
sein, darunter dem Risiko von klimabezogenen Rechtsstreitigkeiten.
Wir werden uns all diesen Sachverhalten und weiteren Punkten im Verlauf
des Jahres 2022 eingehender widmen, da wir laufend diejenigen Themen
analysieren, erforschen und abwägen, die für die künftige Marktrichtung und
die Anlagechancen den Ausschlag geben werden.