Ein Interview mit Portfoliomanager Benjamin Moore über Kapitalanlagen in Europa, wie er Unternehmen betrachtet und zu den Ereignissen der letzten 10 Monate
Sie konzentrieren sich darauf, außergewöhnliche Unternehmen zu finden. Was meinen Sie damit?
Wir suchen nach drei wesentlichen Merkmalen: erstens, das Wachstum über den gesamten Konjunkturzyklus – wir müssen zuversichtlich sein, dass das Unternehmen in fünf Jahren größer sein wird; zweitens, die Kapitalrendite – attraktive Geschäftszahlen und eine Geschäftsführung, die das Kapital wirkungsvoll einsetzt; und schließlich, eine dauerhaft starke Wettbewerbsposition – der Wettbewerbsvorteil des Unternehmens, welche Form der Wettbewerb annehmen wird und wie das Unternehmen ihm standhalten kann. Dies ist der wichtigste Faktor, da er die Dauerhaftigkeit des langfristigen Wachstums und Ertrags eines Unternehmens bestimmt.
Wie erkennen Sie den Wettbewerbsvorteil eines Unternehmens?
Wir verwenden den größten Teil unserer Zeit auf diese Frage, und die Antwort ist stets differenziert. Dabei helfen uns verschiedene Rahmenkonzepte: Wir betrachten die Fünf Kräfte von Professor Michael Porter, um die Wettbewerbsdynamik einer Branche zu verstehen. Wir bewerten auch verschiedene Quellen für Wettbewerbsvorteile, wie die Markenstärke, die Wechselkosten und die Skalenvorteile – Morningstar hat eine sehr interessante Struktur ausgearbeitet, die uns hier bei unserer Analyse hilft.
Wir versuchen, uns in den Kunden hineinzuversetzen und seine Entscheidungsprozesse zu verstehen. Wenn Sie in eine Bar gehen und einen Negroni-Cocktail bestellen, wird der Barmann in jedem Fall Campari1 verwenden, um ihn zu mixen. Campari hat den Negroni bestimmt, seit der Cocktail vor mehr als einem Jahrhundert erfunden wurde; sie haben ein geheimes Rezept und eine Marke, die seit mehr als 150 Jahren gefördert wird. Es wäre also unglaublich schwierig, diesen Barmann davon zu überzeugen, etwas anderes zu verwenden. Dies wiederum verschafft Campari eine starke Preisgestaltungsmacht und attraktive Geschäftszahlen.
Nachhaltigkeit ist ein anderer Begriff, der heutzutage populär ist – aber viele Menschen verstehen ihn als ein Konzept für Umwelt, Soziales und Unternehmensführung (ESG). Wie lösen Sie das?
Als langfristige Eigentümer müssen wir davon überzeugt sein, dass die Unternehmen, an denen wir beteiligt sind, gut geführt werden. Dies bedeutet, dass sie ihre wichtigsten Stakeholder nicht missbrauchen und die Umwelt nicht schädigen. Keines von beidem wäre ein Rezept für langfristigen Erfolg. Mithilfe unseres Qualitätsfilters konnten wir die kapitalintensiveren umweltverschmutzenden Branchen seit Jahrzehnten meiden – weil wir uns mit den langfristigen Umweltfolgen nicht wohlfühlen, aber auch, weil die Geschäftszahlen häufig unattraktiv sind.
Wie denken Sie über Governance?
Kultur ist nicht greifbar, aber sie ist einer der wichtigsten Aspekte eines Unternehmens. Man könnte versucht sein, abstrakt über „außergewöhnliche Unternehmen” nachzudenken, aber in Wirklichkeit befinden sich die Unternehmen in einem ständigen Entwicklungsprozess. Jeden Tag werden Tausende von Entscheidungen getroffen, und ein großer Teil des langfristigen Erfolgs eines Unternehmens wird davon abhängen, wie diese Entscheidungen gefällt werden. Sobald wir mit der Wirtschaftlichkeit eines Unternehmens und seiner Wettbewerbsposition zufrieden sind, konzentrieren wir uns auf das Verstehen seiner Kultur und die Qualität seiner Mitarbeiter. Die Anreize für das Management müssen mit denen unserer Kunden übereinstimmen, und wir wollen eine breite Palette von Talenten und Perspektiven im Unternehmen. Deshalb ist Governance so wichtig für uns.
Einige der bedeutendsten Entscheidungen hängen mit dem Kapitaleinsatz zusammen: Was soll mit den in jedem Jahr erwirtschafteten Gewinnen geschehen? Bei Campari beispielsweise kommt zu den attraktiven Geschäftszahlen noch dazu, dass die Geschäftsführung des Unternehmens diese Gewinne sehr effektiv investiert hat. Sie haben neue Marken gekauft, die sie gepflegt und ausgebaut haben – darunter auch ein Aperitif-Getränk aus Norditalien namens Aperol, das jetzt doppelt so groß ist wie die Marke Campari!
Wie verwalten Sie das Risiko?
Ich bin von meiner Grundeinstellung her risikoscheu. Während ein konzentrierter Fonds als risikoreich erscheinen mag, liegt für mich das größte Risiko in den Unternehmen selbst. Die Qualität der Unternehmen, die wir besitzen, bildet unsere erste Verteidigungslinie; sie genau zu kennen, hilft uns, das Risiko zu mindern.
Diversifizierung ist auch sehr wichtig – wir investieren in eine Reihe verschiedener Sektoren und Branchen. Es gibt jedoch einige Sektoren, in denen wir nur wenige passende Ideen finden – das sind häufig kapitalintensive Branchen, deren Produkte undifferenziert oder reguliert sind, wie Versorgungsunternehmen oder Banken.
Einige argumentieren, dass es riskant ist, bestimmte große Unternehmen oder Sektoren zu meiden, da dies zur Abweichung vom Index führt. Aber aus meiner Sicht ist der Index selbst riskant, weil er so viele Unternehmen mit mittelmäßigen oder schlechten Geschäftszahlen enthält.
Was denken Sie über Wachstumswerte im Vergleich zu Substanzwerten?
Ich bin nicht davon überzeugt, dass die Unterscheidung besonders hilfreich ist, aber ich werde die Antwort auf zwei verschiedenen Wegen formulieren: erstens zur Frage der zyklischen Unternehmen im Vergleich zu defensiven Unternehmen und zweitens unsere Einstellung in Sachen Bewertung.
Geringe Volatilität bedeutet für uns nicht automatisch hohe Qualität. Aufgrund unseres langfristigen Schwerpunkts kann unser Ansatz Volatilität überstehen. Daher schließen wir zyklische Unternehmen nicht aus. Nehmen wir beispielsweise Sika. Das ist ein Schweizer Unternehmen, das Chemikalien für die Bauindustrie herstellt – seine Produkte wandeln die Wirtschaftlichkeit von Bauprojekten und helfen auch der Umwelt (da sie Zeit und Wasser sparen). Sika ist dem Bauzyklus ausgesetzt, hat aber auch klare Wachstumsimpulse in jedem Umfeld, da die Gebäude komplexer werden. Es verfügt über ein Asset-LightGeschäftsmodell, eine starke Marke und eine hervorragende Unternehmenskultur – es ist also ein gutes Beispiel für ein außergewöhnliches zyklisches Unternehmen.
Kommen wir zur Bewertung: Ein außergewöhnliches Unternehmen ist nicht notwendigerweise eine hervorragende Anlage. Wenn wir ein Unternehmen kaufen, denken wir über unsere potenzielle Rendite im Hinblick auf die Cashflows nach, die es im Verhältnis zu dem Preis generiert, den wir bezahlen. Während wir bei der Qualität keinen Kompromiss eingehen, sind wir sehr bewertungssensibel. Es herrscht ein ständiger Wettbewerb um das Kapital in Bezug darauf, was in den Fonds aufgenommen wird und wie es gewichtet wird.
Welche Lehren haben Sie aus dem Jahr 2020 und COVID-19 gezogen?
Das Jahr 2020 hat mich eine Menge gelehrt. Wenn ich einen Punkt auswählen müsste, wäre dies die wertvolle Erinnerung daran, dass schlimme Dinge passieren (Forrest Gump hat dies einprägsamer ausgedrückt!). Aber wie Howard Marks sagt: „Sie können nichts vorhersagen. Sie können sich vorbereiten.” Wir können nicht genau vorhersagen, was geschehen wird oder warum es geschehen wird, aber wir können vorbereitet sein, indem wir uns auf Unternehmen konzentrieren, die stark genug sind, schwere Erschütterungen zu überstehen.