Echter Silberstreif am britischen Aktienmarkt
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Echter Silberstreif am britischen Aktienmarkt

Britische Aktien sind im Jahr 2021 in der Gunst der Anleger wieder etwas gestiegen. Der FTSE 100 Index hat im Laufe des Jahres bis Anfang Dezember um über 10 % zugelegt1 und britische Unternehmen schütteten wieder Dividenden aus. 2020 hatte es Nullrunden gegeben, da die Lage aufgrund des pandemiebedingten wirtschaftlichen Stillstands zu Beginn des Jahres zunächst aussichtslos erschien.
Seit dem im März 2020 verzeichneten Tief hat der FTSE 100 sogar über 40 % an Boden gutgemacht. Doch das ist nichts im Vergleich zu der rasanten Entwicklung des US-amerikanischen S&P 500, der sich im gleichen Zeitraum mehr als verdoppelte.2
Obwohl der britische aktienmarkt auf ein ausgezeichnetes Jahr zurückblickt, ist er bei vielen Anlegern weiterhin relativ unbeliebt. So ist das insgesamt in britische Aktienfonds investierte Kapital in den ersten 10 Monaten des Jahres 2021 von 235 Mrd. GBP um 8 Mrd. GBP gesunken.3 Das bedeutet, dass in fünf von sechs Jahren seit dem Brexit-Referendum im Jahr 2016 Mittelabflüsse zu verzeichnen sind. Ein Hedgefonds bezeichnete Großbritannien als den „Jurassic Park der Börsen“, da die Anleger nicht an Wachstum, sondern lediglich an soliden Dividenden interessiert seien.4
Ein Grund für diesen Umstand dürfte die mangelnde Präsenz von Tech-Werten im britischen Leitindex sein, denn seit 2018 sind die US-Technologieriesen die maßgeblichen Triebfedern für die globalen Märkte (Abb. 1). Klammert man die „Big Six“ der Tech-Branche – Alphabet, Apple, Amazon, Facebook, Netflix und Microsoft – jedoch aus, ist die Performance des S&P 500 durchaus mit der Entwicklung anderer Indizes vergleichbar. Und der Nasdaq würde im bisherigen Jahresverlauf ohne Berücksichtigung seiner fünf großen Tech-Werte sogar deutlich im Minus liegen.5

Abb. 1: Marktkapitalisierung von Apple übersteigt die des FTSE 100

Abb. 1: Marktkapitalisierung von Apple übersteigt die des FTSE 100
Quelle: Refinitiv Datastream, Dezember 2021.

Vorsicht vor Illusionen

In diesen Zeiten gewinnt das Konzept hinter dem Begriff „bezzle“ wieder an Bedeutung, den der Ökonom John Kenneth Galbraith in den 1920ern in Anlehnung an „embezzlement“ (dt.: Unterschlagung) geprägt hat. Gemeint ist das Phänomen, dass unangenehme Wahrheiten in guten Zeiten oft nicht erkannt werden und sich erst in schwierigen Zeiten offenbaren, wodurch es aufgrund verzerrter Bewertungen Gewinner und Verlierer gibt. Derzeit entdeckt eine ganze Generation den Handel mit Kryptowährungen und NFTs (Non-Fungible Tokens), statt sich mit den Aktienmärkten zu beschäftigen. Oder die Börsenneulinge tasten sich durch „Meme-Aktien“ an den Markt heran, die in den sozialen Netzwerken große Aufmerksamkeit erlangt haben und insbesondere bei Kleinanlegern beliebt sind.
Wenn die Zeiten härter werden, besteht indes die Gefahr, dass aufgeblähte Bewertungen schnell wieder in sich zusammenfallen und Illusionen zerplatzen. Die Stützungsmaßnahmen der Zentralbanken haben dazu geführt, dass die Anleger vermehrt auf Schnäppchenjagd gehen, gleichzeitig aber auch zu einer Destabilisierung des gesamten Systems beigetragen. Ein Schock wie die Entdeckung der Omikron-Variante des Coronavirus, vor der die Impfstoffe nur teilweise schützen, könnte beispielsweise die Aktienmärkte auf eine steile Talfahrt schicken.

Rückkehr zur Normalität

Großbritannien ist währenddessen auf den Weg zur Normalität zurückgekehrt. Die nach dem Brexit-Deal herrschende Volatilität scheint sich gelegt zu haben, JP Morgan zeigte sich vor Kurzem erstmals seit dem Referendum in Bezug auf britische Aktien wieder optimistisch,6 und im Sommer begrüßte Bloomberg die wieder steigende Zahl an Börsengängen am Finanzplatz London, die im ersten Halbjahr 2021 um 467 % mit einer Bewertung in Höhe von 20 Mrd. USD zugenommen haben. Derweil sind die Bewertungen von britischen Aktien weiterhin vergleichsweise günstig. Die M&A-Aktivitäten haben ein Rekordniveau erreicht, unter anderem auch weil das britische Pfund gegenüber dem US-Dollar so schwach ist wie seit 35 Jahren nicht mehr. Seit Jahresbeginn wurden am britischen Markt 12 Transaktionen von über 500 Mio. USD abgeschlossen – ein Höchststand seit 2007. Der durchschnittliche Transaktionswert liegt nun bei 2,6 Mrd. USD und erreicht damit fast ein Allzeithoch. Private-Equity-Investoren haben in Summe einen Aufschlag von 10 Mrd. USD für börsennotierte Unternehmen gezahlt, um Bewertungsunterschiede zu eliminieren – ein Rekordhoch, das unter anderem auf Transaktionen wie die Übernahme der Supermarktkette Morrisons zurückzuführen ist.77
Dem Chefmarktstrategen von JP Morgan zufolge kaufen oder verkaufen die meisten Aktienanleger ihre Aktien heutzutage nicht mehr ausgehend von bestimmten Fundamentaldaten.8 Für uns sind diese jedoch eine wichtige Entscheidungsgrundlage. Der britische Markt ist viel differenzierter als oft angenommen. Es handelt sich um einen Markt für Stock-Picker und unser Team ist darauf ausgerichtet. Wir wissen, dass es dort gute Unternehmen gibt, da wir mit ihnen in engem Austausch stehen. Dies ist für unseren Anlageprozess von entscheidender Bedeutung und wir nehmen unsere Aufgabe ernst.
Angesichts der steigenden Anzahl passiver Anleger und handelsorientierter Manager kommt unserer Meinung in Fragen der Unternehmensführung besonderes Gewicht zu. Daher suchen wir den aktiven Dialog, um die Gründe für die verzeichnete Performance zu analysieren. Wir legen außerdem Wert auf eine verantwortungsvolle Ausübung der Eigentümerrolle (Stewardship) und haben ein Mitsprachrecht bei Governance-Themen. Wir sind auch bereit, gegen das Management zu stimmen, wobei wir die Gründe für unsere Entscheidung erläutern und auf unseren Anlageprozess vertrauen.

Ein Blick in die Zukunft

Der Aufwärtstrend in Großbritannien hält schon zwar eine ganze Weile an, doch britische Aktien sind weiterhin eine verlässliche Alternative zu höher bewerteten und engen Märkten, sodass Spielraum nach oben besteht. Der Markt ist differenzierter als oft angenommen und bietet nicht nur im Bankensektor und Rohstoffbereich Kaufgelegenheiten. Mit unserem fundamental orientierten Research-Prozess spüren wir verborgene Schätze auf, denn wir haben ein gutes Auge für unbeliebte Aktien, die sich zwar enttäuschend entwickelt haben, aber weiterhin vielversprechend sind. Als engagierte aktive Anleger beschäftigen wir uns darüber hinaus intensiv mit den Gründen für die verzeichnete Performance. In der Erwartung, dass der sich am britischen Markt abzeichnende Silberstreif anhalten wird, nehmen wir eine pragmatische und geduldige Haltung ein.
20 Dezember 2021
Richard Colwell
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Head of UK Equities
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1 Bloomberg, Dezember 2021.
2 Bloomberg, Dezember 2021.
3 Morningstar, November 2021.
4 Daily Telegraph, London’s stock market still punched above its weight, 3 Dezember 2021.
5 S&P Global Market Intelligence, 6 Dezember 2021.
6 Daily Telegraph, London’s stock market still punched above its weight, 3 Dezember 2021.
7 JP Morgan Konferenz, November 2021.
8 https://www.cnbc.com/2017/06/13/death-of-the-human-investor-just-10-percent-of-trading-is-regular-stock-picking-jpmorgan-estimates.html

Wichtige informationen

Das hier zugrundeliegende Research und die Analysen sind von Columbia Threadneedle Investments für die eigenen Investmentaktivitäten erstellt worden. Aufgrund dieser sind möglicherweise bereits Entscheidungen noch vor dieser Publikation getroffen worden. Die Veröffentlichung zum jetzigen Zeitpunkt geschieht zufällig. Aus externen Quellen bezogene Informationen werden zwar als glaubwürdig angesehen, für ihren Wahrheitsgehalt und ihre Vollständigkeit kann jedoch keine Garantie übernommen werden. Alle enthaltenen Meinungsäußerungen entsprechen dem Stand zum Zeitpunkt der Veröffentlichung, können jedoch ohne Benachrichtigung geändert werden.

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