Die positiven Nachrichten und der Optimismus von vor drei Monaten sind inzwischen passé, nun bestimmen das Virus, Ausgangssperren und Rettungspakete die Schlagzeilen
Der Ausbruch des Covid-19-Virus hat die Aktienmärkte weltweit in Aufruhr versetzt. Seit China der Weltgesundheitsorganisation im vergangenen Dezember Fälle einer „ungewöhnlichen Lungenentzündung“ in Wuhan meldete, haben wir in den Worten der WHO „Neuland betreten“.1 Als erstes europäisches Land verhängte Italien landesweite Ausgangssperren, andere Länder folgten. Das Virus hat sich rasant und wahllos in allen Bevölkerungsschichten verbreitet, von Angehörigen des Adels über Politiker bis hin zu schlecht bezahlten systemrelevanten Arbeitnehmern haben sich unzählige Menschen infiziert.
Die Optimisten hofften, dies werde das globale Wachstum beflügeln … doch dann kam Covid-19.
Zunächst war der Ausbruch des Virus auf die Provinz Hubei beschränkt. In dieser liegt Wuhan, eine mittelgroße chinesische Industriestadt. Anleger zeigten sich von den Auswirkungen anfangs eher unbeeindruckt. Viele gingen davon aus, dies sei nichts weiter als eine weitere Art SARS, es wären also nur Unternehmen mit Geschäftstätigkeit oder Lieferketten in den Gebieten mit Infektionsfällen betroffen. Doch das Virus breitete sich rasch und uneinheitlich aus. Italien wurde am schlimmsten getroffen. Da die Bevölkerung des Landes im Durchschnitt relativ alt ist, war auch die Sterblichkeitsrate hoch. Doch inzwischen hat sich auch in Frankreich die Lage erheblich verschlimmert, in Großbritannien und den USA ist die Zahl der Todesfälle mittlerweile höher als in Italien. Grenzschließungen, Flugstornierungen, andere Reisebeschränkungen, obligatorisches Homeoffice, Begrenzungen der Sozialkontakte – alle diese Maßnahmen wurden in den einzelnen Ländern mit unterschiedlichem Erfolg verhängt. Doch weltweit einheitlich war die Auswirkung an den Aktienmärkten – überall kam es zu massiven Einbrüchen.
Am stärksten waren die Kursbewegungen bei Fluggesellschaften und Unternehmen aus dem Freizeitsektor, denn die Verbraucher blieben zu Hause. Der Stillstand der Wirtschaft hat sich negativ auf Gewinne, Bilanzen und notleidende Kredite ausgewirkt. Papiere aus dem Konsumsektor stehen unter Druck, denn chinesische Käufer sind als Kunden weggefallen. Hoffnungen auf eine Erholung im Zuge der Lockdown- Lockerung in China wurden durch die Ausgangsbeschränkungen in Europa und den daraus resultierenden Nachfrageeinbruch zunichtegemacht.
Die negativen Folgen sind immens. Laut OECD wird die Wirtschaft im Mittel um rund 25 % schrumpfen. In den USA wird für das zweite Quartal mit einem annualisierten Rückgang von schätzungsweise 50 % gerechnet.3 Zum Vergleich: Während der globalen Finanzkrise ging die Konjunktur innerhalb von sechs Quartalen von ihrem Höchststand bis zur Talsohle um 4 % zurück und dies wurde damals als katastrophal eingestuft. Es ist zwar nicht wirklich sinnvoll, in derart volatilen und unsicheren Zeiten Prognosen abzugeben, doch unseres Erachtens wird das BIP der Eurozone dieses Jahr um 9 % nachgeben, bevor es sich dann 2021 wieder um 7 % erholt.4
Wir alle haben Geld verloren – leider. Doch bestimmte Ansätze und Stile stechen hervor. Value-Investoren, die sich einfach nur auf eine Beurteilung des Kurses konzentrieren, mussten die größten Verluste hinnehmen, vor allem falls scheinbar günstige Aktien aus dem Freizeit- oder Bankensektor in ihren Portfolios sehr hoch gewichtet waren. Die Qualität des Geschäftsmodells und die Widerstandsfähigkeit gegenüber der kurzfristigen Volatilität von Volkswirtschaften (oder sogar Aktienmärkten) haben sich als wertvolle Merkmale erwiesen. Damit ließen sich Kurseinbrüche minimieren oder sogar verhindern.
Was nun?
Wir haben es mit einer ereignisbedingten und nicht mit einer systemischen Rezession zu tun. Der erste Schock könnte sich rasch legen, es besteht jedoch das Risiko einer länger andauernden negativen Rückkopplung. Die seit elf Jahren andauernde Hausse wurde von der Schaffung von Arbeitsplätzen und von offenen Stellen getragen, denn sie stärkten die Konsumfreude. Aufgrund von Covid-19 ist die Zahl der Erstanträge auf Arbeitslosenunterstützung in den USA auf 6,6 Millionen gestiegen.5 Die Arbeitslosenquote wird somit deutlich über die für März gemeldeten 4,4 % steigen. Die Auswirkungen auf den Konsum könnten aufgrund der staatlichen Unterstützung für die Privathaushalte jedoch weniger schlimm ausfallen.
Die Erholung wird von der medizinischen Entwicklung abhängen. Die Ausbreitung des Virus muss verlangsamt oder gestoppt werden, damit die Ausgangsbeschränkungen gelockert werden können und wieder eine gewisse wirtschaftliche Normalität zurückkehren kann. Dies muss schnell geschehen, wenn sich der Abschwung nicht zu einer sich selbst verstärkenden Rezession ausweiten soll. Werden die Ausgangsbeschränkungen aber zu früh komplett aufgehoben, dann könnten die Infektionszahlen wieder nach oben schnellen.
Die unterstützung
Die Politik hat schnell mit geld- und haushaltspolitischen Maßnahmen reagiert. In nur drei Wochen hat die US-Notenbank mehr unternommen als während der gesamten globalen Finanzkrise. Die EZB hat zugesichert, Staats- und Unternehmensanleihen in bisher ungekanntem Ausmaß aufzukaufen: Es wurde ein Rettungspaket in Höhe von 2,3 % des BIP der Eurozone geschnürt, zudem wurden Kreditgarantien über weitere 13 % des BIP eingerichtet. Die Haushaltsdefizite der Eurozone werden dieses Jahr 10 %–13 % des BIP betragen.6 Die Kombination aus höheren Ausgaben und sinkender Produktion wird das Verhältnis von Schulden zu BIP um 20–40 Prozentpunkte steigen lassen. Für Deutschland mit einer aktuellen Schuldenquote von 60 % könnte dies noch vertretbar sein. Für Italien wäre eine Schuldenquote von 170 % oder mehr eine ernsthafte Gefahr.7
Wir gehen daher davon aus, dass sich die Konjunktur U-förmig erholen wird, diese Erholung aber frühestens Ende 2020 einsetzen wird. Für das zweite Quartal erwarten wir einen massiven Einbruch im zweistelligen Bereich, das dritte Quartal dürfte von anhaltender Schwäche gekennzeichnet sein und im vierten Quartal könnte es zu einer Aufwärtsbewegung kommen. Bei einem länger andauernden wirtschaftlichen Shutdown könnte sich die Rezession bis in das Jahr 2022 erstrecken – denn die Frage ist nicht, ob eine Rezession kommt, sondern wie lange sie dauert.
Die Covid-19-Krise wird zahlreiche längerfristige Auswirkungen haben. Die Unterbrechungen der Lieferketten aufgrund der in China verhängten Ausgangsbeschränkungen untermauern die Einschätzung, dass die Verlagerung der Produktion in Billiglohnländer zu weit gegangen ist. Beispielsweise werden 80 % der in den USA verabreichten Antibiotika in China hergestellt.8 Wer auch immer der nächste US-Präsident wird, er wird unter enormem politischem und sozialem Druck stehen, das Offshoring wieder umzukehren. In Europa wurde das Schengen-Abkommen, mit dem ein System der offenen Grenzen begründet wurde, ausgesetzt. Es ist nicht klar, wann die wiedereingeführten Grenzkontrollen aufgehoben werden, auch wenn die Freizügigkeit der Unionsbürger als Eckpfeiler der EU eingestuft wird. Die Regeln des Vertrags von Maastricht zur Haushaltsdisziplin wurden über den Haufen geworfen. Bisher hat die Globalisierung die Inflation unter Kontrolle gehalten. Wird sich das nun ändern?
Eine traditionelle Analyse von Konjunkturzyklen liefert im Falle einer Pandemie keine Antworten. Somit lassen sich kaum Prognosen zur Erholung anstellen. Wir haben den Vorteil, dass sich unser Ansatz auf hochwertige Geschäftsmodelle mit hohen Erträgen konzentriert. Unternehmen, die diese Eigenschaften aufweisen, zeichnen sich durch Nachhaltigkeit auch unter schwierigen Bedingungen aus. Unsere Portfolios konnten sich daher bisher gut behaupten, allerdings werden die nächsten Monate zweifellos sehr interessant sein.